Vorratshaltung ist eine geniale Sache. Es ist keine menschliche Erfindung, denn auch Pflanzen und Tiere betreiben zum Teil erhebliche Vorratshaltung. Es ist ein uraltes Konzept.

Vorratshaltung ist das Parade-Beispiel für langfristiges, vorausschauendes Handeln. Wir gönnen uns in der Gegenwart ein weniger gutes Leben, und haben dafür Reserven für die Zukunft. Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.

Wie jedes nützliche Konzept kann man auch dieses übertreiben. Einige Religionen z.B. versprechen uns reichliche Belohnung im Jenseits, also in der Zukunft nach unserem Ableben, wenn wir unser ganzes diesseitiges Leben ärmlich und karg verbringen. Vorratshaltung ist hier zum Selbstzweck verkommen.

Vorratshaltung ist sinnvoll für einzelne Lebewesen und für begrenzte Gemeinschaften. Aber ist es sinnvoll für die ganze Menschheit? Und über welche Zeiträume ist Vorratshaltung sinnvoll?

Was hätten die alten Römer wohl auf die Seite gelegt? Schwerter und Schilde? Marmor? Hätten sie womöglich noch mehr Wälder in eroberten Gebieten abgeholzt, um auf Vorrat Segelschiffe zu bauen?

Viel wäre das heute nicht mehr wert. Vorräte können veralten und wertlos werden. Dann hat man verschwendet.

Vor 150 Jahren hätten die Menschen eventuell riesige Kohlehalden auf Vorrat angelegt, und vor 70 Jahren gewaltige Uranmengen. Okay, das letzte könnte durchaus wieder aktuell werden.

Die Pflanzen haben riesige Energiespeicher angelegt, die im Erdboden versunken sind und zu Erdöl verpresst wurden. Das war sicher nicht der Plan der Pflanzen.

Zeitlich übertriebene Vorratshaltung wird zur Verschwendung. Aber das ist nicht das einzige, was falsch laufen kann.

Viele Gesellschaften zu allen Zeiten haben Tempel gebaut in der festen Erwartung, Gott würde sie dafür nicht nur abstrakt belohnen, sondern sehr konkret mit besseren Ernten. Auch das ist eine Form der Vorratshaltung. Bringe im Jetzt ein Opfer für eine bessere Zukunft. Aber so funktioniert das nicht.

Ein Einzelner, ein Unternehmen, eine Stadt, ein Staat können Guthaben aufbauen. Dieses Guthaben ist ein Anspruch an andere Menschen oder Gemeinschaften. Das Konzept funktioniert hier, weil wir die berechtigte Erwartung haben dürfen, unser Guthaben irgendwann auch einlösen dürfen. Voraussetzung ist, dass unsere Partner ähnliche ethische Standards einsetzen wie wir selbst. Das gilt für einzelne Menschen und für menschliche Gesellschaften, die Strukturen entwickelt haben, die darauf achten, dass diese Standards eingehalten werden.

Mit Gott ist so etwas nie möglich gewesen, weswegen sämtliche Tempelbauten und Opfergaben an ihn sinnlos waren.

Die Erfindung des Geldes hat uns nicht nur bei der Arbeitsteilung erheblich weitergebracht, sie hat auch die individuen– und gemeinschafts–übergreifende Vorratshaltung verbessert. Nach den inneren Vorräten, die Lebewesen z.B. in Form von Fettpölsterchen anlegen, den äußeren Vorräten, für die z.B. Lagerhallen, Öltanks, oder von Hunden vergrabene Knochen stehen, ist dies eine weitere Stufe der Bevorratung.

Die nicht-menschlichen Lebensformen haben, so weit wir wissen, keine Strukturen, die es erlauben, sie in unsere Vorratshaltung einzubeziehen. Sie haben keine Staaten, keine Regierungen, nichts, das sie dazu bringen könnte, uns je etwas zurückzugeben als Gegenleistung für das, was wir ihnen vorher gegeben haben. Wir können keine Verträge schließen und keinen Handel mit ihnen treiben.

Verzicht zu ihren Gunsten ist so sinnlos wie Opfergaben zu Gunsten eines Gottes.

Die Menschheit kann Tiere und Pflanzen, die sog. Natur nicht in ein übergreifendes System der Vorratshaltung einbeziehen, weil wir uns nicht auf ein gemeinsames Regelwerk mit ihnen verständigen können. Außer wir unterwerfen sie so weit, dass wir alle Entscheidungen treffen, wie wir es bei Haustieren und Nutzpflanzen tun. Damit sind sie eine Ressource, aber kein Partner.

Vorratshaltung funktioniert also nur unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich:

  1. Sie darf nicht zu weit in die Zukunft gerichtet sein
  2. Alle in das System einbezogenen Partner müssen nach ähnlichen Regeln agieren.

Gute Ideen können nicht nur übertrieben, sondern auch missbraucht werden.

Der sog. Ökologische Fußabdruck ist ein Beispiel dafür, wie die Übersteigerung des Prinzips der Vorratshaltung missbraucht wird. Der ökologische Fußabdruck ist kurz gesagt der Flächenverbrauch eines Menschen. Über seine Berechnung gäbe es auch noch viel zu sagen, aber nicht in diesem Beitrag. Hier geht es um den Begriff des Verbrauches mit der Betonung auf der Vorsilbe.

Die Vorstellung ist, dass jeder Mensch mit jeder Handlung, z.B. dem Verzehr eines Stückes Fleisch oder einer Autofahrt eine bestimmte Fläche verbraucht. Außerdem stellt uns die Natur jährlich eine bestimmte Fläche zur Verfügung.

In diesem Bild ist die Summe aller Flächen, die die Menschen jedes Jahr verbrauchen leider höher als die, die uns die Natur zur Verfügung stellt. Das ist, wie wenn man jeden Monat mehr Geld verbraucht als man von seinem Arbeitgeber überwiesen erhält, und die Folge ist klar: Erst werden die Ersparnisse aufgezehrt, danach rutscht das Konto in die roten Zahlen, und irgendwann hat man die letzte Kreditlinie überschritten, Strom und Wasser werden abgestellt, man kann sich nichts mehr zu essen kaufen, fliegt aus seiner Wohnung und erfriert zuletzt unter irgendeiner Brücke. Das ist das Schicksal, das uns Menschen bevorsteht, wenn wir nicht endlich wieder das Prinzip der Vorratshaltung ernst nehmen, und weniger ausgeben, als wir einnehmen.

Das ganze Konstrukt ist blühender Unsinn.

Denn tatsächlich handelt es sich nicht um einen Verbrauch, sondern um einen Gebrauch. Wenn ich in einer 70-Quadratmeterwohnung lebe, sagt niemand, dass ich jedes Jahr 70 qm verbrauche, und zu Beginn eines jeden Jahren aber wieder 70 qm geschenkt bekomme, um sie wieder im Laufe des Jahres verbrauchen zu dürfen. Und erst recht käme niemand auf die absonderliche Idee, ich würde jedes Jahr 100 qm meiner Wohnung verbrauchen, während diese mir nur 70 qm zugesteht.

Und wenn doch, dann würde man mich zu meiner brillianten Raumausnutzung beglückwünschen.

Die Erdoberfläche ist einfach da und wir leben auf ihr gemeinsam mit allen anderen Lebewesen. Wir verbrauchen nichts davon. Es ist auch nicht so, dass ein Quadratmeter, den wir Menschen bewohnen, für alles andere Leben unbenutzbar geworden wäre. Anderes Leben ist immer noch da, und wir stehen in permanentem Austausch von vielerlei Substanzen mit ihm. Die Fläche wird nicht weniger. Wir ändern durch unsere Anwesenheit die Zusammensetzung dieses anderen Lebens, aber das ist normal, und beruht auf Gegenseitigkeit. Alle Lebewesen ändern mit ihrer Anwesenheit und ihrem Stoffwechsel das Milieu für alle, inklusive sich selbst!

Durch die unsinnige und willkürliche Umwandlung eines Gebrauches in einen Verbrauch wird unterschwellig an unser tief verwurzeltes Bedürfnis nach Vorratshaltung appelliert. Es ist ein weiteres Beispiel für grüne Demagogie.

(siehe auch meinen Beitrag Wer ist der Planet? für ein erstes Beispiel)

Natürlich ist eine mögliche Antwort auf diesen Vorwurf, wir würden nicht die Fläche selbst verbrauchen, sondern die von dieser Fläche bereitgestellten Ressourcen. Und indem wir hier permanent mehr verbrauchen, als die Fläche nachproduzieren kann, würden wir diese dauerhaft beschädigen, so dass sie irgendwann stirbt und gar nichts mehr produziert. Hier kommt wieder der grüne Grundirrtum zum Tragen, demzufolge wir nicht etwa Teil der Natur seien, sondern Bewohner.

Tatsächlich verbrauchen wir die meisten Ressourcen gar nicht. Wir verändern sie nur. Wie schon gesagt: Das ist genau das, was das Leben tut: Es verändert permanent alle möglichen Substanzen. Das nennt man Stoffwechsel. Nur in einer toten Welt findet diese Veränderung nicht mehr statt.

Die anderen Lebensformen des Planeten, oder evtl. auch unsere Nachfahren, werden sich an die Veränderungen der gebrauchten Fläche anpassen und sie dann genauso mögen, wie wir sie gemacht haben. Die Fläche wird anders, aber sie stirbt nicht und verschwindet nicht.

Das einzige, was der Mensch sich also verkneifen sollte, ist der Versuch, bestimmte Abfallprodukte für alle Zeiten aus dem Spiel zu nehmen. Denn wenn es gelänge, unseren Atommüll für immer aus den Kreisläufen des Lebens auszusperren, dann wäre er tatsächlich verbraucht.

Aber keine Panik, der Versuch wird scheitern. Die Pflanzen haben die fossilen Brennstoffe unabsichtlich für Jahrmillionen aus dem Kreislauf genommen. Dann kam der Mensch, und hat sie doch wieder zurückgeholt. Genauso wird es mit den menschlichen Abfällen sein: Früher oder später kommt jemand, buddelt sie wieder aus und findet ihre Verwertung ganz toll. Egal, wie gut wir glauben, die Erde vor unserem Gift-Müll beschützen zu können.

Eine Ausnahme zu all den anderen Ressourcen muss angesprochen werden: Energie (oder besser gesagt, Entropie, aber diese Diskussion spare ich uns hier)

Energie ist deswegen besonders, weil sie eine abstrakte Größe ist, von Wissenschaftlern in harter Arbeit extra so definiert. Verbrauchte Energie ist weg, sie kann nicht mehr in den Zyklus des Lebens zurück eingebracht werden.

Hier sollten wir an die andere der oben genannten Einschränkungen denken, die für das Prinzip der Vorratshaltung gelten. Mehrere Varianten können unsere Einsparversuche ins Gegenteil umwandeln:

  • Die anderen Lebensformen werden uns nicht dankbar sein, dass wir freiwillig auf Energieverbrauch verzichten. Selbst wenn einzelne Individuen intelligent genug sein sollten, unsere Selbstkasteiung zu erkennen und zu würdigen: Genauso wenig wie die Menschheit ein Gesamtbewusstsein hat (siehe auch meinen Beitrag Wer sind wir?), bilden auch die anderen Lebensformen kein Gesamtbewusstsein, und werden uns schon deshalb nicht für freiwilligen Verzicht belohnen. Was wir nicht verbrauchen, werden andere verbrauchen. Andere Arten oder andere Menschen. Das zweite ist wahrscheinlicher.
  • Diejenigen Menschen, die jetzt uns alle zu übertriebener Sparsamkeit zwingen wollen, werden die gesparten Vorräte für sich verbrauchen. Das ist etwas, was in der Geschichte der Menschheit immer und immer wieder passiert ist.
  • Diejenigen Menschen, die jetzt uns alle zu übertriebener Sparsamkeit zwingen wollen, sind ehrlich und üben selbst Verzicht. Dritte verbrauchen die Vorräte in einer tatsächlichen oder empfundenen Notsituation.
  • Diejenigen Menschen, die jetzt uns alle zu übertriebener Sparsamkeit zwingen wollen, sind ehrlich und üben selbst Verzicht. Dennoch müssen sie Machtstrukturen aufbauen, um den Sparzwang dauerhaft aufrecht zu erhalten. Diese Machtstrukturen werden dann von dritten übernommen und für egoistische Motive missbraucht.

Mischformen sind denkbar und wahrscheinlich. Die Bevorratungssituation der Menschheit wird in keiner Variante am Ende besser.

Ich wiederhole:

Die ständigen Appelle, die Ressourcen der Erde durch Verzicht auf Lebensqualität zu schonen, sind ein raffiniertes Ausnutzen unseres Vorratshaltungsinstinktes. Nichts wird besser, die Gefahr des Missbrauchs ist erheblich.

Verrückte Vorratshaltung

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