Degrowth, also das bewusste Schrumpfen der Wirtschaft, erscheint manchem als Verlockung. Sauberes Wasser statt der Befriedigung künstlich geschaffener Bedürfnisse, mehr Freizeit für weniger Geld, kurz, ein Wohlstand des Weniger soll nicht nur der Pfad ins wahre Glück sein, sondern auch den Planeten vor dem Klimakollaps retten.
Andere sehen im Degrowth eine Art Notausgang. Sollte uns der Umbau der Wirtschaft nicht gelingen, dann müssen wir wohl oder übel in den Degrowth gehen. Dies wird teilweise noch gesteigert zum Drohmittel. Wenn wir jetzt nicht endlich ernst machen mit der grünen Transformation, dann müssen wir in den Degrowth, und es wird noch viel schmerzhafter.
In diesem Artikel geht es nicht um die Frage, was Degrowth in der Praxis bedeutet, ob er wirklich eine Steigerung des Lebensglücks bedeuten könnte, oder ob er nicht doch, wie von Kritikern behauptet, zu Not und Elend führen würde. Ein bisschen habe ich dazu in meinem früheren Artikel Was ist eine Erfindung? geschrieben. Hier im Fokus soll nun die Frage stehen, ob sich dieses Konzept überhaupt einführen lässt.
Im grünen Wahlkampf zur letzten Bundestagswahl war noch kein Degrowth angekündigt. Stattdessen wurde versprochen, wir Deutschen würden der Welt jetzt beweisen, dass man klimaneutral werden und dabei reich und wirtschaftlich stark bleiben kann. Dies sollte den Rest der Welt so begeistern, dass dieser uns bald eifrig nachfolgen würde. So könne der Planet gerettet werden, und alle Menschen würden in eine glückliche Zukunft blicken.
Dieses Ziel scheint immer weniger erreichbar. Mehr und mehr wird klar, dass die Klimaziele nur mit schrumpfender Wirtschaft erreicht werden können, insbesondere bei gleichzeitigem Verzicht auf Kernenergie. Dabei ist der tatsächliche Wohlstandsverlust schlimmer, als in den Zahlen zum Wirtschaftswachstum ausgedrückt, denn die Menschen müssen einen erheblichen Teil ihrer Ersparnisse und ihres Einkommens ausgeben, um sich selbst klimaneutral zu machen.
Es sieht nicht danach aus, als wolle der Rest der Welt auf einem Degrowth-Pfad folgen. In vielen Gesellschaften ist die wahre Natur der Armut noch präsent, oder es leben noch viele Menschen, die den Wohlstand des Weniger am eigenen Leib erfahren haben. Deren Begeisterung hält sich in Grenzen. Solange ihnen niemand vormacht, dass man wirklich klimaneutral und wirtschaftlich stark zugleich sein kann, solange werden sie ihrer eigenen Lebenserfahrung mehr trauen als auf theoretischen Berechnungen beruhenden Versprechungen.
Das Klimaproblem ist ein globales. Wir müssen den Degrowth für die gesamte Menschheit durchführen, wenn er funktionieren soll.
Wie realistisch ist das? Kann die Menschheit den Degrowth beschließen, und wäre er wirklich zwar schmerzhaft, aber dafür die Rettung?
Schauen wir uns in der Welt des Jahres 2024 um. Die Nachrichten werden dominiert von Männern wie Wladimir Putin, Xi Jinping, Donald Trump, Recep Erdoğan oder den Ayatollahs des Iran.
Alle diese Menschen haben ein ausgeprägtes Machtstreben gemein. Ein Teil von ihnen hat eine Teilpopulation der Menschheit unter ihrer Kontrolle, andere kämpfen darum. Manche sitzen dauerhaft fest im Sattel, andere wahrscheinlich nur auf Zeit.
Kann sich jemand vorstellen, dass auch nur einer dieser Männer freiwillig darauf verzichtet, seine Macht auszudehnen? Gar etwas davon herzugeben? Freiwillig kürzer zu treten zu Gunsten des langfristigen Wohls anderer Völker? Ich nicht.
Einer dieser Männer, Wladimir Putin, schreckt nicht davor zurück, ein Nachbarland zu überfallen, und dessen Kinder entführen zu lassen, um seine eigene Teilpopulation zu stärken. So jemand soll freiwillig in seinem Land einen Degrowth einleiten?
Noch fühlen sich die NATO-Länder sicher vor Putin. Unsere wirtschaftliche Stärke erlaubt uns den Unterhalt eines Militärs, welches derzeit jeglichen direkten Angriff sinnlos aussehen lässt. Wie sähe dies nach einem Degrowth aus? Wir müssten auch unser Militär schrumpfen, und wären den grausamsten Diktatoren dieser Welt ausgesetzt. Unbenommen davon ist, dass diese Leute längst dabei sind, unsere Gesellschaften von innen, auf subtilere Art und Weise, anzugreifen.
Wenn einzelne Länder freiwillig in den Degrowth gingen, dann würden die oben aufgeführten, ihre Geschwister im Geiste und ihre Nachfolger dies ausnutzen, um ihre Teilpopulation, und damit sich selbst, zu stärken. Der Konkurrenzdruck der Teilpopulationen der Menschheit untereinander würde dafür sorgen, dass sich am Ende jene durchsetzten, die sich nicht, oder am wenigsten, am Degrowth beteiligen.
Verstärkt wird dies noch durch zeitliche Abhängigkeiten. Jene Teile der Menschheit, die ein paar Jahre später mit dem Degrowth beginnen, gewinnen währenddessen an relativer Stärke. Dies erlaubt ihnen, die Folgen des Klimawandels auf die Frühstarter abzuwälzen. Es steigt die Versuchung, den Selbstschrumpfungskurs gar nicht anzufangen.
Dieser Mechanismus ist eine konkrete Manifestation der Tatsache, dass die Menschheit kein zu bewussten Entscheidungen fähiges Wesen ist, welche ich in recht allgemeiner Form in meinem Artikel Wer sind wir? beschrieben habe.
Es hat keinen Sinn, darauf zu hoffen, wir Deutsche oder Europäer könnten in den Degrowth gehen, und der Rest würde uns folgen. Weder kann die Menschheit eine solche Entscheidung herbeiführen, noch wird es gelingen, alle relevanten Machthaber zu überzeugen, diesen Weg einzuschlagen.
Kann irgendjemand die Menschen mit Gewalt in den Degrowth zwingen, als Ultima Ratio?
Für gewaltsames, weltweites Degrowth bräuchten wir eine Instanz, eine Art Weltregierung, die nicht nur acht Milliarden normale Menschen daran hindert, reich zu werden oder zu bleiben. Wir bräuchten eine Weltregierung, die all die oben genannten Diktatoren unter ihre Kontrolle bringt, und diese daran hindert, die Weltregierung zu stürzen, und selbst an ihre Stelle zu treten. Die Weltregierung müsste mit ungeheuren Macht- und Überwachungsmittel ausgestattet werden.
Wer sollte eine solche Weltregierung einsetzen? Wer wäre für ihre Zusammensetzung verantwortlich? Wer sollte ihr die Macht verleihen, wer definiert verbindlich ihren Auftrag und kontrolliert dessen Umsetzung? Die UNO? Der Westen? Konkret, wer müsste was tun?
Nicht nur, dass wir keine Ahnung haben, wie man eine solche Regierung installiert.
Hätten wir sie irgendwie eingerichtet, bestünde die Gefahr des Machtmissbrauchs. Wer wollte eine solche Regierung daran hindern, den Klimawandel laufen zu lassen, und ihre Macht einzusetzen, die verbleibenden für Menschen geeigneten Habitate (die abgetaute Antarktis womöglich) für sich und ihre engsten Freunde und Verwandte zu besetzen, und den überwiegenden Rest der Menschen elendig verrecken zu lassen? Oder einfacher: 7 900 000 000 Menschen im Namen der Klimarettung umzubringen, den Großteil des Rests zu versklaven, um einer kleinen Oberschicht ein Leben wie Gott in Frankreich zu ermöglichen?
Die Erfahrung mit allgewaltigen Regierungen ist nicht vorteilhaft. In der Geschichte haben sie weit mehr Probleme geschaffen, als gelöst.
Aber diese Gefahr besteht nicht. Der Zerfall jeder erfolgreichen Art in sich gegenseitig bekämpfende Populationen ist ein Naturgesetz, dem sich die Menschen nicht entziehen können. Wir werden keine Weltregierung haben.
Schon ohne eine derart machtvolle Regierung besteht die Gefahr, dass in einzelnen Ländern diktatorische Bestrebungen begünstigt werden, im Sinne von:
Wir im Land X zwingen unsere Bevölkerung schon mal in den Degrowth, die anderen Länder werden uns unter dem Druck des voranschreitenden Klimawandels folgen müssen.
Fazit
Degrowth ist eine katastrophale Idee. Das Konzept ist nicht weltweit einführbar und kann daher beim Klimaproblem nicht helfen. Als Drohung eingesetzt kann es aber regional riesigen Schaden anrichten.