Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten. So lautet ein gern genutztes Bonmot im Kampf um politische Deutungshoheiten.
Das Verbreiten von Fehlinformationen kann heute schon strafbar sein. Wer beispielsweise falsche Fakten über eine andere Person verbreitet, macht sich u.U. der Verleumdung strafbar. Darüber hinaus sind in Deutschland einige geschichtliche Tatsachen durch Gesetz geschützt, bekanntestes Beispiel der Holocaust, dessen Leugnung hier strafbar ist.
Gelegentlich wird gefordert, die Liste der Tatsachen, die nicht falsch dargestellt werden dürfen, zu verlängern. Die Begründung ist meistens, der Staat müsse die Bevölkerung, sich selbst oder seine Grundwerte vor Fehlinformation beschützen.
Dagegen gibt es einige gute Argumente. Zu Recht wird auf möglichen Machtmissbrauch hingewiesen. Eine, kaum vermeidbar einseitige, Bekämpfung der von der Opposition vorgebrachten Fehlinformationen, während die Regierungsseite ungehemmter lügen darf, würde den Wettbewerb der Gedanken gravierend verzerren. Genau dieses Ringen um widersprechende Ideen ist es, was Demokratie stark macht.
Ich will in diesem Artikel einen anderen, seltener vorgebrachten Aspekt beleuchten, den ich langfristig für bedrohlicher halte: Wer Fakten festschreiben will, läuft Gefahr, tatsächlich die Vorurteile der Gegenwart festzuschreiben und den Erkenntnisfortschritt der Gesellschaft zu bremsen.
Grundherausforderung des intelligenten Lebens
Intelligentes Leben hat ein Problem. Sinnesorgane nehmen die Vergangenheit wahr. Aktionen beeinflussen die Zukunft.
Um seine Überlebenschancen zu verbessern, muss Leben richtige Entscheidungen treffen. Das fängt an bei der Entscheidung einer Zellmembran, Moleküle mit bestimmten Eigenschaften durchzulassen, und endet nicht mit der Wahl eines Menschen, ein Kind mit einem bestimmten Partner zu zeugen.
Die richtigen Entscheidungen finden Lebewesen mit einem Modell, mit dem es aus der wahrgenommenen Vergangenheit die Auswirkungen seiner Aktionen auf die Zukunft ableitet.
Ein solches Modell kann unmöglich perfekt sein. Lebewesen sind Teil des Universums, und innerhalb eines Teils kann es kein Modell geben, welches das Ganze vollständig beschreibt. Kein Mensch, keine künstliche Intelligenz, kein noch so hoch entwickelter Alien wird jemals ein Modell des Universums haben, welches unter allen Umständen die Zukunft korrekt vorhersagen kann.
Stattdessen hat jedes Lebewesen nur ein stark vereinfachtes Modell, das ihm im Allgemeinen nur Vorhersagen für die nächste Zukunft und für seine nahe Umgebung erlaubt, und auch dies nur mit einer gewissen Eintrittswahrscheinlichkeit.
Die Richtigkeit des Modells ist grundsätzlich nicht beweisbar in einem mathematischen Sinn. Auch keine einzige Vorhersage eines solchen Modells ist streng beweisbar.
Dieses Modell ist die Summe aller Vorurteile dieses Lebewesens. Denken ist die Anwendung von Vorurteilen, denn endgültige Urteile sind unmöglich.
Komplexe Modelle enthalten Beschreibungen über sich selbst und über die Modelle anderer Lebewesen.
Jedes Lebewesen hat sein eigenes Modell und es hat nur dieses Modell. Es gibt keinen Bypass mit dem wir die Realität direkt wahrnehmen können. Wir leben in diesem Modell, insofern wir uns über unser Bewusstsein identifizieren, sind wir dieses Modell.
Die meisten intelligenten Wesen dürften ihr eigenes aktuelles Modell für die Wahrheit halten, denn wenn es falsche Voraussagen machen würde, würden sie es ändern.
Was folgt daraus? Haben die Esoteriker recht, denen zufolge jede behauptete Wahrheit nur eine von unendlich vielen gleichberechtigten Meinungen wäre, genauso gut wie alle anderen Wahrheiten? Lebt gar jeder in seiner eigenen Realität, weil diese erst durch das Modell entsteht?1
Ich denke nicht. Vergessen wir nicht die zu erfüllende Aufgabe. Wahrheiten sind nie perfekt, doch gibt es bessere und schlechtere.
Im Sinne der obigen Aufgabenstellung definiere ich pragmatisch:
Wahrheit ist dasjenige tatsächliche Modell der Welt, welches die besten Entscheidungen ermöglicht.
Wie finden wir die Wahrheit?
Aus dieser Definition ergeben sich einige Konsequenzen.
- Wahrheit ist nicht endgültig, sondern wird permanent weiterentwickelt.
- Vorurteile werden immer nur durch andere Vorurteile ersetzt.
- Wir testen unseren Fortschritt, indem wir das Modell Vorhersagen machen lassen, deren Eintreffen überprüft werden kann. Falsche Vorhersagen führen zur Modifikation des Modells.
- Wir gleichen durch Kommunikation mit anderen denkenden Wesen unsere Modelle ab und versuchen Teile der Modelle untereinander auszutauschen.
- Das Modell muss einfach genug sein, dass es für praktische Entscheidungen schnell genug anwendbar ist.
- Ein wahres Modell muss für jede Fragestellung eine eindeutige Antwort liefern, also in sich widerspruchsfrei sein.
- Wir beziehen das Wissen über unsere Sinnesorgane und das von ihnen gespeiste Modell in das Modell ein.
Was sind Begriffe?
Das Modell der Wirklichkeit in unseren Köpfen ist stark und verlustbehaftet komprimiert. Der wichtigste Trick hierzu ist das Wiederverwenden von identischen oder ähnlichen Bestandteilen.
Bei der Kompression unseres Weltbildes spielen Begriffe eine zentrale Rolle. Begriffe sind die Einheitsbausteine, aus denen wir unser Modell der Welt zusammensetzen.
Aus den Begriffen setzen wir Theorien zusammen. Das meine ich nicht nur im wissenschaftlichen Sinn, sondern auch im alltäglichen. Eine Theorie ist z.B. das, was uns das Verhalten des Autos vorhersagt, wenn wir am Lenkrad drehen.
Theorien sind aus Begriffen zusammengesetzte größere Elemente unseres Modells der Welt.
Begriffe sind einem steten Wandel unterzogen
Die Geschichte des menschlichen Fortschrittes ist mit einer permanenten Optimierung zentraler Begriffe verbunden.
Aristoteles hielt seinerzeit nur Stadtbewohner für Menschen. (zoon politikon)
Leben wurde früher untrennbar mit göttlichem Odem verbunden.
Auf Raum und Zeit gehe ich später noch ein.
Mit der Quantenphysik tun wir Menschen uns deswegen so schwer, weil uns für das zentrale Konzept des Welle-Teilchens ein Begriff fehlt. Wir haben ein Wort, aber keine echte Vorstellung.
Vorurteile müssen schön sein
Vom Physiker Paul Dirac stammt der Satz, wonach Theorien schön sein müssen. Eine Forderung, deren Sinn ich lange nicht verstand. So ein Quatsch, dachte ich, Theorien müssen wahr sein, und sonst gar nichts.
Nobelpreisträger Diracs Verständnis gründete tiefer als das des Studenten Frank L.
Es geht um die Anwendbarkeit von Theorien. Schöne Theorien sind anwendbar. Sie sind einfach, passen zu der Art, wie unser Verstand tickt. Einfach heißt: sie enthalten wenige Annahmen, und möglichst gar keine Ausnahmen. Sie fassen möglichst viel Aussage in möglichst wenige Begriffe.
Schöne Theorien erweitern die Vorhersagequalitäten unseres Modells, ohne seine Komplexität deutlich zu erhöhen. Im Idealfall verringern sie sogar die Komplexität. Physiker sprechen gerne von Symmetrien. Symmetrien sind wiederverwendbare Teile unseres Modells, die über einen bereits existierenden Begriff hinausgehen.
Warum werden wir unsere Vorurteile so schwer los?
Wir bauen unser Weltmodell aus Begriffen zusammen, wie wir als Kinder einen Kran aus Lego- oder Fischertechnik-Bausteinen aufgebaut haben. Die Begriffe sind die Bauteile unseres Denkens. Im Laufe des Lebens bauen wir ein immer umfangreicheres Modell auf aus den immer wieder verwendeten Begriffen.
Wenn nun einer dieser Begriffe eine andere Bedeutung bekommen soll, dann ist das, als wenn wir in einem riesigen Kranmodell einen tausendfach verwendeten T-förmigen Baustein durch einen ringförmigen ersetzen müssten. Das Ergebnis wäre entweder ein nicht mehr funktionsfähiges Modell, oder eine komplette Neukonstruktion des Modells.
Wer in höherem Alter erfährt, dass einer seiner seit Jahrzehnten verwendeten, an tausenden Stellen in sein Weltbild eingebauter Grundbegriffe besser geändert werden müsste, der steht vor einer bitteren Wahl: Entweder schmeißt er sein ganzes Weltbild über den Haufen, und beginnt mit dem Neuaufbau, fällt dadurch auf den Wissensstand eines Kindes zurück. Oder er weigert sich, die Änderung anzunehmen. Es dürfte klar sein, wofür sich fast alle entscheiden.
In der Wissenschaft gibt es seit langem die Erkenntnis, dass neue Theorien sich nicht durchsetzen, weil die führenden, meist alten, Köpfe dieses Zweiges überzeugt werden. Neue Theorien setzen sich durch, weil die alten Köpfe in Ruhestand gehen, und ersetzt werden durch jüngere, die bereits die neue Version des Bausteins für ihr Weltbild benutzt haben.
Was sind Fakten?
Wir kennen die Realität nicht. Alles, was wir haben, ist das Modell der Realität in unseren Köpfen, und dieses Modell besteht aus Vorurteilen. Kein Bestandteil dieses Modells kann bewiesen werden.
Ist es also sinnlos, von Fakten zu reden, gibt es nur Meinungen?
Auch hier möchte ich aus pragmatischen Gründen widersprechen. Fakten sind Teile unseres Modells, die in der Vergangenheit für viele Menschen dabei geholfen haben, korrekte Aussagen über die Realität zu treffen. Auch wenn sie nicht mit absoluter Gewissheit bestätigt werden können, ist es dennoch Unsinn, sie mit völlig unsicheren Meinungen gleichzusetzen.
Niemand denkt bei jedem Schritt über die Existenz der Reibung zwischen Fuß und Boden nach. Dies würde den Sinn des Modells in unserem Kopf wegnehmen.
Wenn Fakten so nützlich sind, ist es dann nicht sinnvoll, das Verbreiten falscher Fakten (Fakenews, Desinformation, Lügen, wie auch immer genannt) per Gesetz unter Strafe zu stellen, und auf diese Weise dafür Sorge zu tragen, dass sich das beste bekannte Modell der Realität durchsetzt?
Die Antwort lautet Nein, wie ich an einigen Beispielen erläutern möchte.
Lernen aus Irrtümern
Ich will euch hier nicht die Kamelle von Christoph Kolumbus auftischen, dessen Gegner noch an die scheibenförmige Erde glaubten. Wir alle wissen inzwischen hoffentlich, dass die Leute, die Kolumbus abrieten, nach Westen in See zu stechen, um Indien zu erreichen, sehr wohl über die Kugelgestalt der Erde Bescheid wussten. Im Gegensatz zu Kolumbus hatten sie sogar eine realistische Vorstellung über den tatsächlichen Erdumfang von ca. 40.000 Kilometern. Ihnen war klar, dass der Westweg nach Indien zu weit für die Reichweite der damaligen Schiffe und erst recht einen wirtschaftlichen Gewinn gewesen wäre.
Demgegenüber beharrte Kolumbus stur auf der Desinformation, der Erdumfang betrüge unter 30.000 km, und stach mit drei Schiffen in See.
Das Ergebnis ist bekannt. Nach nicht einmal einem Viertel der Strecke bis Ostasien war Kolumbus bereits länger als geplant auf See und knapp an Wasser und Nahrung, als ihn die Karibikinsel Guanahani rettete. Kolumbus glaubte sich in Japan, doch über längere Sicht lernte der europäische Teil der Menschheit von der Existenz Amerikas.
Wer Irrtümer unterdrückt, raubt Kapitän Zufall ein paar Chancen, unser Wissen zu erweitern.
Viele Vorurteile stecken in den Begriffen
In Begriffen stecken bereits Annahmen über die Welt. Eine der schwersten Übungen für den menschlichen Geist ist es, Vorurteile zu überwinden, die in Begriffen stecken, von denen wir glauben, wir hätten sie bereits voll verstanden.
Als Beispiel möchte ich den Begriff der Wahrscheinlichkeit anhand des Monty-Hall-Dilemmas heranziehen, das üblicherweise als Spiel durchgeführt wird.
Der Spieler steht vor drei verschlossenen Türen. Hinter einer dieser Türen befindet sich ein Goldstück, hinter den anderen beiden nichts.
Der Spieler wählt eine Tür. Anstatt das Spiel nun aufzulösen, wird eine der beiden anderen Türen geöffnet, hinter der sich nichts befindet.
Jetzt darf der Spieler erneut zwischen den beiden noch verschlossenen Türen wählen. Spannenderweise wählen viele Menschen dieselbe Tür wie beim ersten Mal – und verschenken damit Gewinnchancen.
Die Überlegung der meisten Menschen dürfte so sein, wie auch meine war, als man mir das Problem erstmals präsentierte:
An den objektiven Tatsachen hat sich nichts geändert, die Wahrscheinlichkeit, die Goldmünze hinter jeder Tür zu finden, ist daher unverändert ein Drittel für jede der beiden noch verschlossenen Türen.
Dieser Gedankengang ist falsch. Etwas hat sich geändert: unser Wissen.
Hier liegt das begriffliche Missverständnis, auf das ich hinaus will.
Die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses ist keine Eigenschaft des Ereignisses, sondern unseres Wissens über diesen Ereignis.
Wir haben den Begriff Wahrscheinlichkeit für den Problemstellungen erfunden, in denen unser Wissen unvollständig ist. Dennoch ist das intuitive Verständnis vieler Menschen dieses Konzeptes, sie sei eine Eigenschaft der Dinge selbst, über die wir unvollständiges Wissen haben.
Solange man nicht mit der Nase darauf gestoßen wird, merkt man nicht mal, dass man hier einem Missverständnis aufsitzt.
Meinung versus Fakten
Das deutsche Grundgesetz schützt die Meinungsfreiheit, das Aufstellen von falschen Fakten ist dadurch nicht geschützt. Aber was ist Meinung, und was ist Fakt? Üblich und weithin akzeptiert scheint folgende Definition:
Fakten sind überprüfbar, Meinung entzieht sich der Überprüfbarkeit, da subjektiv.
Ich halte diese Definition für gefährlich eng. Der Grund dafür liegt in den Vorurteilen. Unsere Vorurteile kreieren aus Beobachtungen vermeintliche Fakten. Da unsere Vorurteile uns nur selten bewusst werden, bleibt vor uns selbst geheim, dass wir Fakten gar nicht wirklich feststellen können, sondern die Kombination aus Beobachtung und dem Modell in unseren Köpfen für Fakten halten.
Ein guter Teil aller Diskussionen geht nicht um unüberprüfbare Meinungen, sondern sind der Versuch, unsere eigenen Vorurteile zu verteidigen, und die unserer Gegenüber zu entlarven. Sehr häufig wird dem politischen Gegner vorgeworfen, er würde Fakten leugnen, verdrehen oder erfinden.
Ich versuche, dies an einem aktuellen politischen Thema zu verdeutlichen.
Beispiel Russland-Ukraine-Krieg
Diskussionen zur Frage der Unterstützung der Ukraine mit westlichen Waffen laufen oft darauf hinaus, dass die eine Seite der anderen vorwirft, Fakten zu ignorieren oder zu leugnen. Es mag sein, dass ein Teil der Diskutanten tatsächlich aus taktischen Gründen absichtlich Fakten leugnet, jedoch denke ich nicht, dass das auf alle zutrifft. Vielmehr sehe ich hier ein aktuelles Beispiel, wie unterschiedliche Vorurteile zu einer unterschiedlichen Wahrnehmung der Fakten führt.
Insbesondere zu Beginn der Vollinvasion Ende Februar 2022 wurde der Ukraine von einigen empfohlen, schnell zu kapitulieren, weil Widerstand gegen Russland aussichtslos wäre. Ich denke, fast alle Menschen werden es als Fakt akzeptieren, dass Russland auf Landkarten absolut übermächtig wirkt. Neben einem Projektions-Effekt beim Abbilden der kugeligen Erdoberfläche auf eine flache Karte, vermute ich bei einem Teil der Diskutanten das Vorurteil Groß gleich Stark.
Dass dies nicht stimmt, wurde im Verlauf der folgenden Jahre klar. Stärke besteht nicht nur aus Größe, sondern auch aus Wirtschaftskraft und starken Verbündeten.
Ich habe in dieser Frage eine ausgeprägt pro-ukrainische Haltung, aber ich halte nicht alle sogenannten Putin-Versteher für Lügner und Tatsachen-Verdreher. Darunter sind auch Lügner, aber ein Teil wendete, glaube ich, ganz unbewusst die von mir genannte Annahme an. Sie waren sich dessen nicht bewusst, sondern hielten Russlands Übermacht für unübersehbaren Fakt. Selbstverständlich ist dies nur eine von vielen verdeckten, unbewussten Annahmen, die unsere Sicht prägen.
Der Kampf um politische Entscheidungen ist der Kampf, die eigenen Vorurteile als die leistungsfähigeren darzustellen. Der Gegenseite die Ausführung der von ihr als Fakten verstandenen Annahmen zu verbieten, ist kontraproduktiv. Man raubt ihr und allen noch unentschlossenen Zuhörern die Gelegenheit, sich unbewusster Annahmen bewusst zu werden.
Paradigmenwechsel
Jeder Mensch hat andere Vorurteile und das hilft dabei, sie stetig zu verbessern.
Es gibt auch Vorurteile, die wir alle gemeinsam haben. Irgendwann kommt dann ein einzelnes Genie, das als erster Mensch deren Schwäche identifiziert, und dieser Einzelne muss nun die Gelegenheit bekommen, seinen Fortschritt zu verbreiten. Wir sprechen von einem Paradigmenwechsel.
Als Beispiel fällt mir Einsteins spezielle Relativitätstheorie ein, die grundlegende Begriffe wie Raum und Zeit auf eine neue Basis stellt.
Die Schwierigkeit bei dieser Theorie liegt nicht in den komplizierten Formeln. Sie liegt darin, dass sie mit Konzepten und Begriffen kollidiert, die wir in frühester Kindheit lernen und die vermutlich auch in den Gehirnen von vielen Tieren eine wesentliche Rolle spielen: Raum, Zeit, Geschwindigkeit, Gleichzeitigkeit und einige mehr.
Es gibt zahlreiche eingängige und völlig plausible Widerlegungen dieser Theorie. Gerade, wenn man sich ein wenig mit Physik auskennt und beispielsweise darauf trainiert ist, Symmetrien in physikalischen Problemstellungen zu erkennen und diese zur Vereinfachung heranzuziehen, stolpert man permanent über innere Widersprüche in dieser Theorie.
Beim Zwillingsproblem kommt man unter Verwendung des gesunden Menschenverstandes unter Betrachtung der Symmetrie zwischen den beiden Zwillingen unweigerlich zu dem Schluss, dass die beiden am Ende immer noch gleich alt sein müssen. Die Relativitätstheorie behauptet, die Zwillinge seien unterschiedlich stark gealtert.
Alle Widerlegungen der Relativitätstheorie haben gemeinsam:
Sie sind logisch kristallklar, für den gesunden Menschenverstand nachvollziehbar – und falsch.
Die Widerlegenden machen in der Regel weder logische noch rechnerische Fehler. Sie bauen aber tiefverwurzelte Vorurteile über die Welt in ihre Überlegungen ein. Die Schwierigkeit beim Anwenden der Relativitätstheorie besteht darin, jede anscheinend triviale Überlegung darauf abzuklopfen, wo sich ein solches Vorurteil, von Einstein Denkgewohnheit genannt, versteckt.
Stellen wir uns vor, zu Einsteins Zeiten wäre es politisch bedeutsam gewesen, ob seine Auffassung von Raum und Zeit richtig ist, oder ob die Mächtigen des Kaiserreiches darin eine Gefahr für sich erkannt hätten. Stellen wir uns weiter vor, es hätte damals bereits Faktenchecker gegeben, natürlich unter anderem Namen, vielleicht Reichsamt zum Schutze der Menschen vor gefährlichen Tatsachenbehauptungen.
Diese Faktenchecker hätten ein solides Verständnis der klassischen, nicht-realistischen Physik gehabt. Gerade deswegen hätten sie schnell einige der typischen Symmetriebetrachtungen angestellt, darin unwissentlich ihre Vorurteile bzgl. Raum und Zeit eingebaut – und die Relativitätstheorie als Lüge gebrandmarkt.
Hier zeigt sich die gefährliche Beschränkung der Definition von Fakten als überprüfbar. Auch bei der Beurteilung, was eine Überprüfung ist, schlagen unsere Denkgewohnheiten zu und verleiten uns zu ungerechtfertigter Gewissheit.
Einstein und die wenigen, die ihn verstanden hatten, wären mit Strafe bedroht worden, die Relativitätstheorie öffentlich zu diskutieren. Der Gang der Menschheit zu tieferem Verständnis der Physik wäre verzögert worden.
Fazit
Staaten sollten nur mit äußerster Behutsamkeit mit dem Strafrecht gegen das Behaupten von falschen Fakten vorgehen. Dieses Instrument mag kurzfristig dazu beitragen, bessere Entscheidungen zu treffen. Längerfristig gefährdet es den Erkenntnisfortschritt der Menschheit, weil das Aufdecken von Vorurteilen (im Sinne von: Ersetzen durch etwas bessere) erschwert wird. Ein Verbot
- verlangsamt die Optimierung der Begriffe.
- verzögert die Verbesserung von alten, tief verwurzelten Vorurteilen.
- erleichtert es Neu-Einsteigern in ein Thema, auf veraltete Begriffe hereinzufallen.
- raubt uns Chancen, aus Irrtümern zu lernen
- hemmt wissenschaftliche Durchbrüche.
- Im Grunde ist egal, ob eine Realität wirklich existiert. Die Annahme einer Realität verbessert Entscheidungen, das alleine genügt mir, ihre Existenz anzunehmen. ↩︎